Ort der Stille – Stadtkirche Melsungen

Evangelische Kirche Melsungen
Stadtkirche

Material:
Eiche, brünierter Stahl

Ausführung der Stahlelemente:
Michael Possinger

Auftraggeber:
Evangelische Kirchengemeinde, Melsungen

2011

Worte zur Einweihung des Ortes der Stille in der Stadtkirche Melsungen

Auch ich möchte Sie alle ganz herzlich begrüßen und freue mich natürlich
sehr, dass wir heute den Ort der Stille nach einem tatsächlich langen
Entstehungsprozess gemeinsam einweihen können.

Und ich möchte an dieser Stelle ein großes Dankeschön aussprechen an alle,
die über die Jahre am Entstehungsprozess mitgewirkt haben und vor allem an
Sie, Herr Schulze, denn Sie haben mich im Laufe der Jahre immer wieder zur
Weiterarbeit ermutigt, haben Impulse gegeben, Weichen gestellt und vor allem
an der Vision eines Ortes der Stille festgehalten.
Und ich bin mir sicher:
ohne Sie würden wir heute sicherlich nicht hier feiern.

Für mich ist es etwas ganz besonderes, in einem Raum von solcher
historischer und kultureller Bedeutung gestalterisch aktiv werden zu dürfen
und sozusagen einen Raum im Raum zu schaffen, in dem ab jetzt Menschen
einkehren werden, zur Andacht, zum Gebet, um Gedanken zu entwickeln und sie
eventuell niederzuschreiben, vielleicht auf der Suche nach Ruhe, Frieden
oder Antwort und ich wünsche mir sehr, dass der entstandene Raum hierfür
einen würdevollen Rahmen bieten wird.

Entstanden ist eine aus vier Komponenten bestehende Installation:

Es gibt einen neuen Tisch, auf dem ein Buch zur Niederschrift von Gedanken
bereitliegt.
In Ergänzung dazu gibt es Hocker, die es einzelnen Besuchern aber auch
Gruppen ermöglichen werden, sich in diesem Raum Platz zu nehmen.
Eine bereits vorhandene Wandnische wurde von uns mithilfe eines
Holzelementes in ein Ablagefach u. a. für Kerzen verwandelt.
Ferner gibt es einen freistehenden Kerzenleuchter, Träger einer großen
Kerze, die in Zukunft immer während der Öffnungszeiten der Kirche angezündet
sein wird.
Hauptbestandteil sind die insgesamt 19 Stahl-Wandkonsolen, die auf zwei
Wandflächen in einer aufgelockerten Anordnung installiert wurden.
Sie tragen jeweils einen Eichenholzwürfel, in den ein Buchstabe
eingearbeitet wurde.
Diese Buchstaben ergeben in ihrer Abfolge gelesen – wie bereits gesagt – die
Worte „Glaube, Hoffnung, Liebe“ – die drei christlichen Tugenden.
Sie sollen die Besucher inspirieren, die Besucher können auch beispielsweise
einen Buchstaben oder Buchstabenkombinationen für sich auswählen und darauf
basierend ihre eigenen Gedanken entwickeln.

Sie können auch, z. B. zum Gedenken, kleine Kerzen an der großen Kerze
anzünden und auf den Konsolen platzieren und zusätzlich auf diese Weise die
Würfel in ein stimmungsvolles Licht tauchen.

Der aus Holz hergestellte Tisch, das ebenso hölzerne Wandnischenelement und
die Sitzhocker stellen mit ihrer lackierten Oberfläche die Verbindung zum
vorhandenen Mobiliar des Kirchenraumes her.

Auch das massive Eichenholz der Würfel findet bereits an einigen anderen
Stellen Verwendung.

Die Würfel sind hergestellt aus massiven Eichenkanthölzern, so wie man sie
im Fachwerkbau oder für die Errichtung von Dachstühlen verwendet.
Dieses vergleichsweise warme und weiche Material lebt von seinem Wuchs, von
seiner Maserung, seiner Farbe und von leichten Verformungen.

Die Würfel – man könnte sie auch Bausteine nennen – sind im Grunde genommen
die eigentlichen Träger unserer Botschaft.

Sie wiederum werden getragen von Wandkonsolen aus Stahl, einem im
Normalzustand eher kalten und vergleichsweise harten Material.
Aus der Industrie kommend, hat vor allem der patinierte Stahl mit seinem
changierenden Farbspiel in der Oberfläche in den letzten Jahren in der Kunst
und in der Architektur Einzug gehalten.

Als wir uns für die Umsetzung des Entwurfs mit den Konsolen und dem
Kerzenleuchter aus patiniertem Stahl entschieden, stand sehr bald fest, dass
deren Herstellung der auf diesem Gebiet sehr erfahrene Metallbildner Herr
Michael Possinger übernehmen würde. Herr Possinger ist selbst Bildhauer und
hat bereits einige Kirchenräume mit gestaltet. Er wird uns im Anschluss noch
einige Gedanken zu diesem Material und dessen Bearbeitung mitteilen.

Der eine oder andere wird jetzt vielleicht sagen:

Na gut, da sind eben ein paar Würfel mit Buchstaben an den Wänden befestigt…

Und zugegebenermaßen fiel es auch mir anfangs nicht ganz leicht, z. B. auf
gegenständliche Darstellungen, auf Symbolik oder Reliefs gänzlich zu
verzichten, die in Vorentwürfen teilweise noch mit enthalten waren.

Aber nach dem Prinzip „Weniger ist Mehr“ entschieden wir uns dann im
gemeinsamen Kreise, dem auch Herr Frede angehörte, für dieses eindeutige und
klare Konzept.
Und wir gehen jetzt davon aus, dass – inspiriert allein durch die Schrift –
die eigentlich wichtigen Bilder in den Gedanken der Besucher entstehen
werden.

Außerdem war Schrift in der Kunst schon immer ein wichtiges, gestalterisches
Element, dem auch heute noch große Bedeutung beigemessen wird.

Natürlich könnte man heute jeden beliebigen Schrifttyp aus dem Internet
downloaden, auf die Würfel übertragen und sogar mit einer
computergesteuerten Fräse einarbeiten.
Diese Buchstaben würden dann aber sicherlich steril wirken.

Daher stand für uns von Anfang an fest, die Buchstaben, basierend auf
einer klassischen Antiqua-Schrift, alle von Hand auf die Würfel zu zeichnen,
sie in ihrer Größe, Form und Stärke aufeinander fein abzustimmen und dann
mit Bildhauerbeiteln in das Material einzuarbeiten.

Dadurch vermitteln sie weitaus mehr Lebendigkeit und ich denke, dass in
ihnen doch viel mehr enthalten ist, als der eine oder andere vielleicht auf
den ersten Blick wahrnimmt.

Ich wünsche mir und uns, dass der Ort der Stille ab jetzt gut angenommen
wird.

Vielen Dank.

Andreas Tollhopf